Spiker's Berlin

Das Friedrichs-Waisenhaus mit der Waisen-Brücke

Die Spree, an welcher Berlin liegt, bietet sowohl in der Hauptstadt, als ausser derselben, mehrere malerische Punkte dar, und wir werden, im Laufe unseres Werkes, Gelegenheit haben, ihre Ufer zu verfolgen, und die an denselben gelegenen Gebäude und Oertlichkeiten genauer zu beschreiben. Auf dem vorliegenden Bilde sehen wir ihre Wasserfläche, welche, innerhalb der Stadt, durch den Raum, den man ihr zum Häuserbau abgewonnen hat, ziemlich beengt ist, sich weiter ausbreiten, so dass der Fluss hier, wo er, nach Südosten, seinen Lauf verfolgt und späterhin, bei den anmuthigen Dörfern Stralau und Treptow, in einer bedeutenden Breite erscheint, und zu dem Betriebe mannichfacher Gewerbe, zur Schifferei, Fischerei u. s. w., Anlass giebt. So sehen wir denn auch auf dem vorliegenden Bilde, jenseits der Brücke, die Masten mehrerer grösserer Schiffe, und im Vorgrunde Gondeln, Boote, ein Floss und dergl.

Die Brücke, welche man rechts im Vorgrunde sieht, ist die sogenannte Stralauer Brücke, nach dem oben erwähnten Dorfe so genannt. Sie führt über den von Norden her kommenden ehemaligen Festungsgraben, der sich hier mit der Spree vereinigt und früher Berlin auf dieser Seite gegen das freie Feld abgränzte.

Die Kirche, deren stumpfer Thurm zur Rechten hervortritt, gehört zu dem grossen Friedrichs-Waisenhause, das, zum Theil in der Stralauer Strasse gelegen, mit der Kirche ein grosses Viereck bildet. Diese mildthätige Anstalt verdankt ihr Daseyn dem König Friedrich I., nach dem sie auch benannt ist. Ursprünglich zu einem Hospitale für die Armen der Stadt bestimmt, wurden später auch arme Soldaten-Kinder und Soldaten-Arme überhaupt, darin aufgenommen; eine Bestimmung, welche bei der Errichtung mehrerer Militär-Verpflegungs-Anstalten unter den folgenden Regierungen dahin modificirt wurde, dass das Haus gegenwärtig zur ausschliesslichen Aufnahme Berlinischer Bürger-Waisen dient. Friedrich I. machte im J. 1697 der neu zu errichtenden Anstalt den Platz und die Baumaterialien zum Geschenk, und so entstand das itzige grosse viereckte Gebäude, welches die Ecke der Stralauer- und Neuen Friedrichs-Strasse bildet und 3 Stockwerke hat. Grünberg (dessen wir bei dem Zeughause erwähnen werden) entwarf den Plan dazu und der Bau begann schon im J. 1697. Im J 1702 waren die Seiten nach der Stralauer Strasse und ein Flügel des Hofes vollendet. Nach Grünberg’s im J. 1707 erfolgten Tode wurde der Bau dem damaligen Ingenieur-Major, nachherigen Bau-Director Sam. Gerlach *) aufgetragen, welcher den hintersten Flügel und die, auf unserem Bilde zur Rechten sichtbare, Kirche aufführte. Diese letztere ward im J. 1716 vollendet, worauf Gerlach, nach seiner eigenen Zeichnung, einen Thurm darauf setzte, welcher in den Jahren 1727 und 1728 vollendet ward. Dieser hatte die ziemlich bedeutende Höhe von 268 Fuss, musste aber, seiner Baufälligkeit wegen (da er nur von Holz war) im J. 1782 abgetragen werden. Eine sehr bedeutende Beschädigung erlitt der übrig gebliebene Theil des Thurmes im J. 1809, wo er, bei dem Brande der St. Petrikirche, durch das Flugfeuer ebenfalls in Flammen gerieth, so dass die Kirche nur mit Mühe gerettet werden konnte.

Durch die Verbindung mehrerer weniger bedeutenden Stiftungen, z. B. der sogenannten Orange-Stiftung für 12 reformirte Waisen (im J. 1712), des, im J. 1696 in der Stadt Lindow gestifteten, Waisenhauses für 24 reformirte Waisen (im J. 1726), vermehrte sich die Zahlder Pfleglinge nach und nach bedeutend. Sie betrug im J. 1713 200, im J. 1721 400, im J. 1784 309 (worunter 100 sogenannte Hauskinder und 209 Kostkinder, d. h. ausser dem Hause erzogene, waren); im J. 1806 700 (wovon die grössere Hälfte in Kost ausgethan war); im J. 1810 1444 (worunter 367 Hauskinder); im J. 1812 1079 (worunter 285 im Hause verpflegt). – Im J. 1820, wo die Armenpflege Berlin’s der Commune übergeben wurde, befanden sich, im Januar d. J., 1157 Kinder darin, wovon 361 im Hause und 769 ausser demselben verpflegt wurden. Im J. 1825 waren 211 Kinder im Hause und 1057 ausser demselben, und am 15. Dezember 1832 betrug die Gesammtzahl der von der Anstalt verpflegten Kinder 2251, worunter 363 Haus- und 1888 Kostkinder **). Das Lehrer-Personal besteht gegenwärtig aus 4 ordentlichen und 3 Stundenlehrern, unter denen 2, stiftungsmässig, Candidaten der Theologie seyn müssen ***).

Die Brücke, welche man dem Waisenhause zunächst sieht, und welche die Verbindung zwischen den Stadttheilen Alt- und Neu-Cölln bildet, hat von dem Waisen-Hause den Namen der Waisen- oder Waisenhaus-Brücke erhalten. Früher hiess sie die Blocksbrücke, weil zur Zeit, wo Berlin eine Festung war, hier ein Blockhaus stand.

Das grosse Gebäude zur Linken ist das sogenannte neue Hospital, eine Stiftung Sr. Maj. des itzt regierenden Königs, zur Aufnahme unverheiratheter, arbeitsunfähiger und hülfloser Personen bestimmt. – Im Mittelgrunde des Bildes sieht man die Bade-Schiffe und Badehäuser, so wie die zu den Lustfahrten nach Stralau und Treptow dienenden Gondeln, wie denn überhaupt, im Sommer, dieser Theil des Flusses ein Bild der regsten Lebhaftigkeit und Beweglichkeit darbietet.

*) Von dem auch die beiden oberen Stockwerke der Parochialkirche, die Jerusalemskirche und das Kammergericht gebaut worden sind. S. weiter oben.

**) In einem Monate, nämlich vom 17. November bis 16. Dezember 1832 wurden 13 Kinder in das Haus und 45 in die Kost ausgenommen.

***) Speciellere Nachrichten findet man in dem im J. 1828 hier erschienenen Werke: über die Armenpflege von Berlin. pag. 99 - 140.